Bericht zum Langstreckenrennen Paris-Brest-Paris (PBP)
von Josef F.
Paris Brest Paris ist ein Langdistanzklassiker über 1230 km und eines der ersten Radrennen überhaupt. Es findet alle 4 Jahre statt und war Inspiration für die erste Tour de France, die 12 Jahre später, 1903 erstmals durchgeführt wurde. Etwa 6000 Randonneure aus über 50 Nationen waren qualifiziert und am Start. Die Strecke ohne Betreuung zu schaffen, steht im Vordergrund, erst später interessiert die gefahrene Zeit. Ob, wieviele und wann Pausen gemacht werden, steht jedem frei. Es gibt nur das Zeitlimit von 90 Stunden, das nicht überschritten werden sollte.
Vor dem Start
Ich fühlte mich nach einer abwechslungsreichen Trainingszeit und interessanten Qualifikationsbrevets rundum wohl. Die 200km (rund um den Bodensee), 300km (München-Bozen), 400km (Biella-Pietra Ligure-Biella) und 600km (Bodensee-Neusiedlersee) offenbarten einige verbesserungswürdigen Details, vor allem beim Material - härteten mich aber auch durch Kälte, Nachtfahrten und stundenlangem Regen.
Maria, meine Freundin und ich kamen am 15. August in Paris an und die Motivation für Cafe Noisette und Croissants war bedeutend größer, als am nächsten Tag in die endlosen Hügel Richtung Brest aufzubrechen. Trotzdem packte ich meine Sachen zusammen: die zweite Radkleidung, Regenjacke, Mütze, Helllampe, Medizin und Gesässcreme kamen in die große Revelate Satteltasche. Ein paar Riegel, Getränkepulver, Ersatzakkus, Werkzeug und Geld in kleinen Scheinen packte ich in die Oberrohrtasche. Mit meinem bepackten Rad, ein Trek Madone 7 und der Brevetkarte rollte ich zum 16-Uhr-Start. Maria verabschiedete mich beim Velodrome National de St.-Quentin-en-Yvelines. Die Stimmung beim Start war aufbauend und heiterte die wehmütigen Gedanken auf. Bei PBP wird in mehreren Wellen bis in den nächsten Tag hinein gestartet. Jetzt um 16 Uhr fuhr die erste Gruppe los. Ich wollte möglich lange dort mithalten und die erste Nacht durchfahren und dann schauen wie es mir geht.
Der Zug nach Brest
Das Tempo war von Beginn an zackig. Zudem war volle Konzentration gefragt: enge Straßen und Hindernisse, ein paar Stürze und ein unruhiges Feld war gar nicht das, was ich bei einer 1200km langen Strecke erwartete. Nach ca. 100km musste ich kurz in die Büsche - trotz Erleichterung war es nicht einfach die flotte Führungsgruppe wieder einzuholen und diese Kraft wollte ich mir eigentlich noch sparen. Manche pinkelten in diesem Sinne bei voller Fahrt am Ende des Felds, einzelne Andere ließen sich hierfür nicht einmal aus der Gruppe zurückfallen. Das wurde von den Dahinter-fahrenden nicht sonderlich goutiert. Gut, dass später ca. alle 100km eine Zwangspause bei einer Kontrollstelle angesagt war.
Der erste Checkpoint war nach 200km um 22.30 Uhr erreicht. Man kann sich das so vorstellen: Alle springen von den Rädern, holen sich rennend den Stempel für die Brevetkarte, den meisten wird in der Zwischenzeit Radflaschen und Proviant aufgefüllt und weiter gehts. Ich hatte mich entschieden, ohne Betreuung zu fahren und nach meinem eiligen Weg zum Abstempeln, WC, Wasser füllen und Essen kaufen waren nur mehr einzelne Räder bei der Haltestelle auszumachen. Wo waren die alle hin? Ich fuhr alleine los und hoffte ein paar Lichter auf der dunklen Landstraße zu entdecken. Bald merkte ich, dass dies eine einsame Nacht werden würde. Nach einer Weile schloss ich auf einen Deutschen auf und wir konnten uns vorne im Wind abwechseln. Die Nacht war frostig und meines Mitradlers Meinung, ohne Armlinge könnte er nicht fahren, war auch kein Trost dafür, dass ich keine dabei hatte. Viele dunkle Kilometer mit einigen hellen Dörferoasen später, begeisterten mich die ersten Sonnenstrahlen über der französischen Landschaft bei Loudeac. Wir hatten bei einer Kontrollstelle wieder eine größere Gruppe gefunden und es ging in gutem Tempo voran. Ich fühlte mich fit und Brest kam immer näher.
Endlich am Atlantik
Meine ursprüngliche Vorstellung war, nach Brest irgendwo zu schlafen und neue Kraft zu schöpfen. Im Freien zu übernachten war bei dieser Temperatur nicht sehr erholsam und ich wollte mich unterwegs je nach Verfassung für einen Schlafplatz entscheiden. Was für eine Freude war es dann, als wir schon gegen Mittag den letzten „Berg“ vor Brest erreichten und die Abfahrt genossen. Mit einem Blick aufs Meer kamen wir zum Wendepunkt. Inzwischen schon erprobt und gewohnt, rannte ich durch das Gelände um alles zu erledigen. Allerdings war es weitläufig und ich war nicht mehr in Bestform. Also musste ich wieder alleine los und hielt auf der langen Geraden Ausschau nach Kollegen. Niemand zu sehen. Das Wetter war wunderbar, es ging heimwärts und ich fuhr einfach mein Tempo. Bald kamen am Horizont vor mir Radfahrer zum Vorschein. “Nicht hetzen - es ist noch weit bis Paris.“ Als ich dem Pulk immer näher kam und schließlich auch einholte, war meine Motivation am oberen Ende der Skala und die vormals müden Beine beschleunigten das Rad mit Leichtigkeit.
Der Scharfrichter ist die zweite Nacht und die Müdigkeit, gaben mir meine Randonneurskollegen mit auf den Weg. Daran dachte ich jedoch nicht und konzentrierte mich darauf, leichte Gänge zu fahren und immer gut vorbereitet zur jeweils nächsten Kontrollstelle zu kommen. Die Gruppe zu verpassen und wieder eine Nacht alleine zu fahren hatte ich gar keine Lust. Etwas vom Wichtigsten war für mich, sich auf die positiven Eindrücke zu fokussieren und die Strapazen auszublenden. Das Positive aufsaugen:
- Die Schönheit der Landschaft mit den kleinen steinernen Häusern der Bretagne
- Die golden leuchtenden Hügel
- Eine ordentliche Packung Gesäßcreme auf den wunden Hintern
- Die Herzlichkeit und Freude der Zuschauer am Wegesrand
- Die verkehrsarmen Straßen (der Belag ist nicht so schlecht wie behauptet)
- Zeichen der Freundschaft der Leidensgenossen
- Die Vorfreude auf jede geschaffte Etappe und natürlich Paris als Ziel
So fuhr ich in einer Gruppe auch mit den zwei schnellsten Österreichern von einem Checkpoint zum nächsten. Ich hatte mittlerweile herausgefunden wie ich mit meiner Müdigkeit am besten zurechtkam: keine Schinkenbaguettes, sondern Bananen, reichlich Kaffee und Kaugummi, dazu Gedankenspiele. Ich war zuversichtlich die Nacht durchfahren zu können. Den darauffolgenden Tag würde ich bei Licht schon schaffen und eventuell schon am Abend in Paris sein. Tolle Aussichten. Die Abendsonne versetzte die Landschaft in goldenen Schein. Laufend kamen uns nun die später gestarteten Fahrer entgegen. Zujubelnd und grüßend nährten sie unser Selbstvertrauen. Die Kontrollstationen waren nicht mehr wiederzuerkennen. Wo vorher 10 Räder standen, waren es jetzt 500. Viele konnten es kaum glauben, dass wir schon auf dem Rückweg waren. Sie begutachteten unsere Räder und klopften uns anerkennend auf die Schulter.
Dunkel und hell
Die zweite Nacht war dann deutlich besser zu überstehen als die erste, in der ich mich auch mit einzelnen SMS von zuhause über dem Lenker hielt. Ich zog dieses Mal meine Regenjacke gegen die Kälte an. Unsere kleine Gruppe bewegte sich langsam durch die Dunkelheit, die durch den schwachen Schein der Frontlichter der entgegenkommenden Fahrer aufgehellt wurde. Die Sterne leuchteten. Kurz vor Sonnenaufgang ist die Müdigkeit immer am größten. Es war kalt und meine Augen trotz Benetzungsflüssigkeit ausgetrocknet. Die Knie schmerzten. Ich schrieb ein SMS, dass ich wahrscheinlich früher als geplant in Paris auftauchen würde.
Die Gruppe war immer kleiner geworden. 200km vor dem Ziel konnten zwei Fahrer noch zulegen und fuhren davon. Die Verbliebenen waren gemächlich unterwegs und ich wollte das Ding jetzt zu Ende bringen. Etwa 100km vor Paris fuhr ich alleine los. Es war eine Freude. Die Sonne schien und ich fühlte mich noch gut bei Kräften. Bei der letzten Kontrollstelle in Dreux gab es Beifall in der Sporthalle. Man konnte sich als großer Sportler fühlen. Durch lange Alleen ging es Richtung Paris. Ich passierte noch einen anderen Einzelkämpfer und überwand den letzten von unzähligen kleinen Anstiegen. Dann noch ein Kilometer durch den Park vor dem Velodrom. Und das Ziel war da. Nach 46 Stunden und 18 Minuten.
Wer sich tosendes Publikum erwartet, sollte bei einer anderen Veranstaltung teilnehmen. Etwa 20 Zuschauer waren an der Ziellinie - 20 weitere rundum verstreut. Aber das Wichtigste: Maria war da um mir ein emotionales Finish zu schenken. Ich holte mir den letzten Stempel - ganz ohne Eile und eine Portion Pasta. Zu müde um die ganze Freude zu zeigen und auszuessen, schlief ich kurz im Park. Dann spazierten wir zum Bahnhof und nahmen den Zug ins Stadtzentrum. Das Hotel, ein gemütliches Abendessen mit meiner Familie und ein langer Schlaf standen mir bevor.
Epilog
Ich hatte kaum körperliche Beschwerden, lediglich ein Gefühl, als hätte ich am Vortag zuviel Alkohol getrunken. Die Füße und Beine erholten sich schnell, ich konnte gut gehen. Die Pariser Cafés warteten und ich dachte an die Randonneure, die immer noch unterwegs waren. Das Gefühl und die Beweglichkeit meiner Finger waren nach ca. 3 Wochen wieder voll vorhanden. Einige Tage später stellte ich ungläubig fest, dass ich laut inoffizieller Rangliste den 22. Platz belegt hatte (aufgrund des Randonneur-Charakters gibt es keine offizielle Rangliste bei PBP mehr). Die Freude gesund angekommen zu sein, den Rückhalt der Familie zu spüren und die Strecke gemeistert zu haben, ist aber bis heute die wahre Krönung meines Paris Brest Paris Randonneur 2015.