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ERNÄHRUNG AUF DER ULTRADISTANZ | ERFAHRUNGSBERICHT DR. DOOM

von Dr. Doom aka Marc Büchel

Ab einem gewissen Punkt wird Ultracycling weniger zum Sport und mehr zu einem "All-you-can-eat-Wettbewerb" auf zwei Rädern. Achtet man nicht darauf, regelmässig zu essen, dann wird man spätestens nach 4 bis 8 Stunden in einem Kaloriendefizit hängen und glaube mir, das macht keinen Spass. Je weiter man dann noch fährt, desto anstrengender wird das Ganze nicht nur körperlich sondern auch mental. Das stetige Hungergefühl, gepaart mit einer sich anschleichenden Müdigkeit und dem bewussten Feststellen, dass jede noch so kleine Steigung immer mehr Anstrengung erfordert, ist oftmals zu einem viel grösseren Anteil einem Kaloriendefizit als der Müdigkeit geschuldet. Versucht man sich von Beginn an bei einem Ultra-Event, wie es die Audax-Brevets ab 10h Fahrzeit sind, konsequent mit Kalorien zu versorgen, dann sinkt die Wahrscheinlichkeit in einem «Loch» zu enden oder neudeutsch zu «bonken» drastisch.

 

Entsprechend stellen sich nun die Fragen, wieviel (Kalorien) und was (Kohlenhydrat, Protein, Fett) esse ich. Im Falle von Ultralangdisstanz-Events sollte man sich von Beginn an zurückhalten und darauf achten, dass man eine Pace fährt, die beinahe an langweilig grenzt. In einem solchen Fall befindet man sich idealerweise in seiner Grundlage. Verfügt man über einen Pulsgurt, so sollte man darauf achten, dass 75% des Maximalpulses nicht überschritten werden. Dauerhaft würde ich raten, sich zwischen 60 und 70% des Maximalpulses zu bewegen. Ist man im Besitz eines Powermeters so sollten 79% der individuellen Schwellenleistung (FTP) nicht überschritten werden. Dauerhaft würde ich empfehlen, sich bei 55 bis 65% der Schwellenleistung zu bewegen. Je länger aber ein Ultraevent ist, desto weiter verschieben sich Puls- oder Wattbereiche nach unten und spätestens nach 24 Stunden werden die oben genannten Bereiche immer schwieriger zu halten. In diesem Fall fährt man schlicht in demjenigen Bereich weiter, den man noch halten kann und versucht weiterhin Leistungsspitzen so gut es geht zu vermeiden.

 

Weshalb erwähne ich Puls- und Leistungszonen in einem Artikel, bei dem es um die Ernährung während eines Ultraevents geht? Diese Daten lassen Rückschlüsse darauf zu, wie viele Kalorien pro Stunde verbrannt werden. Im Falle von Watt-Daten ist die Umrechung einfach, sprich man kann sich die verbrauchten Kalorien gar auf seinem Fahrradcomputer anzeigen lassen. In der Planung für ein Event kann man Daumen mal Pi sagen, dass man bei einer Dauerleistung von 200 Watt um die 700 Kalorien pro Stunde verbrennt.

 

Nehmen wir an, dass ein fiktiver Ultracycling-Athlet 185cm gross ist, 80kg auf die Waage bringt und sein Equipment (Fahrrad, Taschen, Wasser, Essen, …) am Tag des Events 15kg wiegt. So kommen wir auf ein Systemgewicht von 95kg. Angenommen der Rollwiderstand seines Rades liegt in der Region von 30 Watt (Gravel Reifen mit sehr niedrigem Rollwiderstand) und die Antriebs Effizienz (sauberer Antrieb) liegt in der Region von 98%, dann ergibt sich daraus eine Fahrgeschwindigkeit von ca. 30 km/h unter Berücksichtigung des Luftwiderstandes auf ebener Strecke. Die zugrundeliegende Formel füge ich an dieser Stelle nicht an, da das den Rahmen doch sprengen würde. Sollte sich jemand aber im Detail interessieren, so könnte ich das Paper, auf das ich mich bei diesen Schätzungen stütze, heraussuchen. An dieser Stelle geht es mir hauptsächlich darum, dass man ein Gefühl für den Zusammenhang zwischen Leistung in Watt, Kalorienbedarf, Geschwindigkeit und Konstitution des Athleten bekommt. 200 Watt Dauerleistung und ein Energieumsatz von 700 Kalorien pro Stunde sind somit für unseren Muster Athleten durchaus realistisch. Um an dieser Stelle noch den Zusammenhang zu den Pulsbereichen herzustellen, folgendes: Ist man in der Lage, eine bestimmte Leistung über die Dauer von 10 Stunden zu halten, dann befindet man sich zwangsläufig in einem Bereich unterhalb von 75% des Maximalpulses.

 

Die Zahl von 700 Kalorien pro Stunde erlaubt es uns nun den Kalorienbedarf für unterschiedlich lange Ultraevent abzuschätzen. Dauert das Event 10 Stunden, so werden 7'000 Kalorien allein für das Pedalieren benötigt. Hinzu kommt dann noch der Grundumsatz, der bei unserem Muster Athleten in der Region von 2'000 bis 2'500 Kalorien pro Tag liegen wird. Angenommen unser Musterathlet weist einen Grundumsatz von 2'500 Kalorien pro Tag auf so kommen noch gut 1'000 Kalorien zu den vorher bestimmten 7'000 Kalorien hinzu, sprich während eines 10-stündigen Events würden rund 8'000 Kalorien verbrannt. Nach 20 Stunden wären es 16'000 Kalorien, …

 

Selbstverständlich wiegen wir nicht alle 80 Kilogramm. Um einem etwas Brauchbares an die Hand zu geben, kann man folgende Annahmen treffen für ein 10h-Brevet:

  • Unfitter Randonneur: max 2 W/kg Dauerleistung
  • Fitter Randonneur: max 2.5 W/kg Dauerleistung
  • Maschine: 3 W/kg+ Dauerleistung

Anhand der Watt pro Kilogramm Angaben kann man nun sein eigenes Körpergewicht einsetzen. Unser Musterathlet würde im Umkehrschluss über einen Watt-pro-Kilogramm-Wert von 2.5 W/kg verfügen. Wiegt man beispielsweise 70kg und schätzt sich als fit ein, so ergeben sich 175 Watt Dauerleistung. Die verbrauchten Kalorien sind proportional, entsprechend erhält man in diesem Fall einen Kalorienbedarf, der um 1/8 tiefer ist, sprich 612.5 Kalorien.

 

Plant man ein mehrtägiges Event zu fahren, so würde ich die Watt-pro-Kilogramm-Werte merklich tiefer einschätzen:

  • Unfitter Randonneur: max 1 W/kg Dauerleistung
  • Fitter Randonneur: max 1.5 W/kg Dauerleistung
  • Maschine: 2 W/kg+ Dauerleistung


"Rocket: "Also, was machen wir als nächstes?"
Peter: "Was Böses, was Gutes, n bisschen von beidem."

--- Filmzitat Guardians of the Galaxy (passend zur AUDAX Suisse Saison)