by Simon Wüthrich
Paris-Brest-Paris! Lange habe ich darauf gewartet. Vor Jahren habe ich bereits auf Youtube Doku's gesehen und Berichte konsumiert dazu. Die Faszination sowas zu tun, ist schon lange Zeit in mir. Nun sind meine Töchter im Teenageralter und nehmen den Vater langsam weniger in Anspruch, womit die Zeit gekommen ist, solche Abenteuer in Angriff zu nehmen. So bin ich vor geraumer Zeit auf die Seite von Audax-Suisse gestossen, als ich mich in der Schweiz nach Ultracycling Events umgesehen habe. Der Charakter dieser Brevets stimmte mich positiv, um mich allmählich an immer längere Distanzen heranzutasten. So fuhr ich zusammen mit meinem Arbeitskollegen im April 2022 erstmals das 200er Brevet um den Bodensee. Die Organisation und die super Helferschaft rund um Thomas waren hervorragend. Was ich besonders schätze, sind die moderaten Teilnahmegebühren und sonstigen Abgaben dahinter. Es wird kein Profit daraus geschlagen, so wie es an anderen Events der Fall ist. So fuhr ich Ende Juni 2022 noch das 600er Brevet und hatte somit schon eine gute Ausgangslage, um mich für Paris-Brest-Paris anzumelden. Die Qualibrevets im Frühjahr 2023 liefen dann alle ganz zufriedenstellend ab. Vor allem die 600er Fahrt von Bellinzona nach Florenz hat viel Spass gemacht und wir waren in einer tollen Gruppe unterwegs, ehe ich mit Dai Huber in Florenz einfuhr. So hatte ich Ende April die Quali in der Tasche und brauchte noch etwas Geduld, bis es am 20. August Richtung Paris losging.
So stand ich nun zusammen mit Matthias Küng im Block B am Start. Die ersten Kilometer bis ausserhalb von Rambouillet erfolgten neutralisiert hinter einem Fahrzeug. Dann ging es wie erwartet und zuvor in Berichten oft gelesen los. In einem Feld von ca. 250 Teilnehmern wurde ein flotter 35er Schnitt gefahren. Ich genoss diese Abendstunden in vollen Zügen und versteckte mich ökonomisch im Windschatten der anderen. Dabei wunderte ich mich aber schon, wie einige Protagonisten vorne im Wind ballerten. Ob das über diese Distanz gut kommt? Ich startete mit 3 Liter Getränk im Fahrrad sowie im Trinkrucksack und ging davon aus, dass dies für 200 Kilometer bis zum ersten Checkpoint ausreicht. Nach den ersten Stunden in der Abendhitze musste ich jedoch feststellen, dass dem nicht so ist. So beschloss ich nach gut 100 Kilometer bei der ersten Verpflegung in Mortagne-au-Perche einen Bidon nachzufüllen. Der Posten lag oben im Städtchen nach einem Anstieg. So forcierte ich erstmals etwas und schaute, als einer der ersten dort einzutreffen. Dort angelangt, waren jedoch noch zahlreiche Teilnehmer des ersten Blocks anwesend und so lief das Nachfüllen nicht ganz geschmeidig ab. Trotzdem fand ich wieder Anschluss in einer grossen Gruppe, mit welcher ich zuvor unterwegs war. Leider war Matthias nicht mehr dabei und so sahen wir uns erst im Ziel wieder. So ging es weiter nach Villaines-la-Juhel zum ersten Checkpoint. Dort angelangt lief es ebenfalls ab, wie zuvor oft gehört. Fahrrad parkieren, zum Abstempeln rennen, auf dem Rückweg zu einem schnellen Toilettengang und wieder zurück zum Fahrrad, wo mein Vater Ruedi und mein Veloclub Kollege Ueli die Getränke nachgefüllt hatten. Dann ging es sogleich weiter in die erste Nacht hinein. Ich passierte den ersten Checkpoint schnell und befand mich mit drei weiteren Teilnehmern zusammen wieder auf der Strecke. Gemeinsam fuhren wir weiter und harmonierten tiptop, ehe wir auf eine grössere Gruppe von Fahrern aus dem ersten A-Block aufschlossen. In eher moderater Geschwindigkeit ging es dann weiter zum nächsten Checkpoint in Fougères. Dort angelangt hiess es wieder, rennen, abstempeln und wieder zurück zum Fahrrad. Nach Fougères bildete sich dann eine ganz tolle Gruppe mit ca. acht Fahrern. Alle leisteten ihre Führungsarbeit und in zügiger Fahrt ging es durch die erste Nacht. Dabei fuhr stets ein Auto mit orangem Drehlicht voraus. Es dauerte eine ganze Weile bis ich begriff, dass ich mich in der Spitzengruppe befand. So fuhren wir zusammen bis Montagmorgen in Carhaix-Plouger, dem letzten Checkpoint vor Brest. Nach dem Stempeln fuhr ich als erster langsam los. Dabei verfehlte ich aber kurz nach dem Checkpoint einen Wegweiser und fuhr einen Kilometer abwärts in die falsche Richtung, ehe ich meinen Fehler bemerkte. So war die Gruppe für mich Geschichte und von Kilometer 514 an war ich vorwiegend alleine unterwegs. So passierte ich den schönsten und höchsten Punkt des Brevets, den Roc'h Trevezel. Weiter vorne sah ich dann Richtung Brest weitere Fahrer, welche zuvor mit mir in der Gruppe fuhren. Dabei handelte es sich um drei Franzosen. So fuhren wir zu viert bei Halbzeit in Brest ein. Dort angelangt machte ich erstmals eine kurze Pause und zog meine Schuhe aus. Ich hatte im Bereich der Fussballen ein fürchterliches Brennen. Nebst den aufkommenden Schmerzen im Sitzbereich war das Fussbrennen das grösste Problem bis ins Ziel nach Rambouillet. Ich zog die Schuhe wieder an und fuhr los. Der eine Franzose sah in Brest "mitgenommen" aus und sprach von Aufgabe. Ich hoffe, dass er sich nach einer Pause wieder aufgerafft hat. Denn er fuhr zuvor in der Gruppe super mit. Die zwei anderen Franzosen waren etwas früher wieder losgefahren. Die geschilderten Probleme im Sitz- und Fussbereich machten mir Mühe, in einer Gruppe mitzufahren, so dass ich dann auch lieber alleine fuhr. Zu meinem Erstaunen waren aber die Beine auch nach Brest immer noch ganz gut, so dass ich auf dem Rückweg trotz der Nebenwirkungen gut vorankam. Auf der Rückfahrt erlebte ich dann am Checkpoint in Loudéac den einzig technischen Zwischenfall. Bei der Einfahrt zum Checkpoint sprühte fröhlich die Dichtmilch aus dem Vorderreifen. Nach kurzer Zeit verschloss dann glücklicherweise das Leck und ich musste nur etwas nachpumpen. So konnte ich ohne weitere Massnahmen bis ins Ziel fahren. Später überholte ich die zwei vorerwähnten Franzosen dann irgendwann in der zweiten Nacht an einem Checkpoint, ohne dass ich es wahrnahm. Ebenfalls konnte ich nach dem Checkpoint Fougères zu Marko Baloh und Severin Zotter aufschliessen, nachdem diese einen "Pinkelstopp" gemacht hatten. Ich erfuhr erst später, dass es sich bei den beiden um bekannte Grössen der Ultracyclingszene und mit Severin einen ehemaligen Sieger des Race across America handelte. Wir fuhren kurze Zeit zu dritt, ich bekundete aber aufgrund der gschilderten Probleme Mühe, mit den beiden mitzufahren und liess sie ziehen. Zudem machte sich in der zweiten Nacht gegen die Morgenstunden die Müdigkeit bemerkbar. Ich bekam Halluzinationen. Gefühlt in jeder Kurve nahm ich Tiere wahr, die sich bewegten, sich dann aber beim Passieren doch als feste Bäume, Strassenpfosten oder sonstige Objekte wiedergaben. Auch die Fahrweise war durch die eingeschränkte Konzentration nicht mehr wie zuvor. So entschloss ich mich, in Villaines-la-Juhel dienstagmorgens um 0300 Uhr einen Powernapp zu machen. Nach dem Abstempeln legte ich mich neben dem Bus meiner Betreuer für ca. zwanzig Minuten auf den Boden. Ich konnte aber nicht sogleich einschlafen. Gefühlt habe ich etwa die Hälfte der Pause schlafend verbracht. Der Zufall wollte es, dass sich Marko Baloh und Severin Zotter gleichzeitig ebenfalls ausruhten. Die beiden fuhren nach ca. 15 Minuten weiter. Ich beschloss, die beiden fahren zu lassen und mit meiner bisherigen Taktik wenige Minuten später wieder loszulegen. Die Weiterfahrt nach der kurzen Pause gegen die Morgenstunden war immer noch ziemlich hart. So hatte ich alleine im französischen Niemandsland die Orientierung in der Dunkelheit verloren und fuhr einfach nach meinem GPS-Track und den Richtungstafeln. Dabei hatte ich aber manchmal das Gefühl, im Kreis zu fahren oder immer wieder die gleichen Kurven zu passieren. In Mortagne-au-Perche kam dann wieder das Tageslicht. Zudem fuhren beim Ausfahren aus dem Checkpoint die beiden bekannten Franzosen ein. Da wir in den vorderen Positionen den Wettkampfgedanken trotz des Brevets nicht ganz ablegen konnten, war ich entsprechend wieder wach und konnte nochmals Kräfte mobilisieren. So fuhr ich die gefühlt niemals endenden kurzen Rampen bis Rambouillet zurück und kam Dienstagmittag um 1134 Uhr kaputt und glücklich ins Ziel. Dabei fuhr ich die viertbeste Zeit heraus, was mich sehr zufrieden stimmte. Insgeheim hatte ich gehofft, in den vorderen Positionen das Brevet zu absolvieren. Da ich aber als absoluter Newcomer über eine solche Distanz auch eine Ungewissheit in mir hatte und Fehler machte, war ich schon sehr happy mit dem Resultat. Ein grosses Dankeschön gilt meinen zwei Betreuern Ruedi und Ueli! Diese hatten mit den Verschiebungen zu den Checkpoints und dem Zubereiten der Verpflegung ganz schön zu tun! Ohne deren Support wäre ein solches Resultat nicht möglich gewesen. Gerade am Anfang bei den ersten Checkpoints wo es hektisch zu und herging, hätte ich ohne Support zuviel Zeit benötigt.
Da es sich bei Paris-Brest-Paris um ein Brevet und nicht einen Wettkampf handelt, sind durchaus auch kritische Stimmen zu hören, welche hinterfragen, ob es angebracht ist, das Brevet zuvorderst schnellstmöglich zu absolvieren. Ich kann als früherer Mountainbiker und Cyclocrosser bei einem solchen Anlass den Wettkampfgedanken in mir nicht ganz abstellen und hatte immer die Absicht, die Brevets als Test für zukünftig echte Langdistanzrennen zu nutzen. Natürlich hatte ich während des Brevets zahlreiche Mitstreiter um mich, welche die gleiche Einstellung hatten. Mit einem Schmunzeln habe ich dann den Bericht im Tour Magazin gelesen, wo dies thematisiert wird. Gemäss Reglement vom Audax Club Parisien haben die vordersten Absolventen das Brevet gar zu schnell gefahren! So denke ich bereits weiter und möchte in Zukunft das ein oder andere Rennen im self-supported Modus absolvieren. HELL YEAH!
"Ich dachte immer schlafen kannst Du im Himmel,
aber nicht bei Paris-Brest-Paris - in der zweiten Nacht wurde ich eines Besseren belehrt!"
--- Simon Wüthrich (Ancien PBP)