zeitungsartikel
Erfahrungsbericht rocketman
Letztes Jahr war ich trotz der Corona Pandemie auf die Tortour fokussiert und habe diszipliniert und hart auf dieses Ziel trainiert. Meine Leistungswerte waren auch auf top Niveau und ich war überzeugt, ein gutes Resultat einzufahren. Wie die Tortour 2020 dann tragischerweise geendet hat, habt Ihr ja mitbekommen. Im Vorbericht wurden meine Beweggründe für den erneuten Start schon beschrieben. Ich bin nicht der Typ, der sich mit „halben Sachen“ zufriedengibt, auch fühlte ich mich meinem Team, dass sich letztes Jahr für mich aufgeopfert hat, verpflichtet, es nochmals zu versuchen.
Der Prolog mit dem Kilometer-Zeitfahren auf dem Spinning Bike war eine nette Idee, für mich jedoch mehr Pflicht als Kür, störte er doch meine unmittelbare Rennvorbereitung. Ich war dann auch froh, mit dem Startschuss vom Tohuwabohu im Sihlcity in die Ruhe und Stille der klaren Nacht einzutauchen. Wir hatten uns auf einen Fahrplan von 40 Stunden Fahrzeit und 2 Stunden Ruhezeit festgelegt. Das heisst 5 Minuten Pause pro Zeitstation und zwei Powernaps zu 30 Minuten. Diesen Plan konnten wir auch gut umsetzten, obwohl ich leider in den Pausen nicht schlafen konnte.
Die Startphase nach Chur verlief wie immer hektisch. Alle Teilnehmer sind voller Energie und Adrenalin und obwohl ich von mehreren Fahrern überholt wurde, liess ich mich nicht dazu verleiten, meinen Motor zu überdrehen und fuhr konstant meine Zielgeschwindigkeit, getreu meinem Motto „Es ist erst zu Ende wenn es zu Ende ist“, übte ich mich in Geduld. Die Strecke bis nach Disentis mit der pittoresken Via Mala Schlucht by Night als Höhepunkt, verlief ohne Zwischenfälle.
Ich fahre sehr gerne bei Nacht. Die Sinne fokussieren sich ganz anders als am Tag und man nimmt Geräusche, Gerüche und Kontraste intensiver und verändert war. Über Lukmanier, Gotthard und Furka konnte ich meine Stärke am Berg ausspielen. Optimal betreut von meinem eingespielten Helfer-Team, dass mir jeden Wunsch von den Augen abgelesen hat, kam ich in den Flow, den man sich als Ausdauersportler oft wünscht, aber nur ganz selten erreicht. Auch Petrus belohnte uns für die zahlreichen Regenfahrten im Frühjahr und Sommer mit angenehmen Temperaturen. Das Wallis mag mich einfach nicht, zuerst streichelte es uns Fahrer noch mit angenehmen Rückenwind, doch schon bald peitschten uns sturmartige Böen ins Gesicht, auch das Fahren auf autobahnähnlichen Strassen im Stossverkehr, auf denen wir Fahrer doch eher wie ausserirdische Wesen betrachtet wurden, ist nicht so mein Ding. Vor Sion fuhren wir exakt an der Stelle vorbei, an dem ich letztes Jahr aus dem Rennen genommen wurde, dass motivierte mich natürlich zusätzlich und ich freute mich auf den Rückweg, da ich meistens einen positiven zweiten Split fahren kann. Auf dem harten Aufstieg zum Colle de Pillon in der brütenden Mittagshitze, klopfte die erste Krise an meinen Helm. Glücklicherweise wurde ich sie jedoch auf der rasanten Abfahrt über Gstaad nach Bulle wieder locker los. Immer wieder wurde ich von meinem Team aufgefordert zu essen und zu trinken, was mir infolge meiner zunehmenden Magenprobleme nicht leicht viel und ich musste mich regelmässig dazu zwingen, Nahrung und Elektrolyt-Getränke zu mir zu nehmen, denn ohne Energie ist man schnell am Ende. Bereits kündigte sich die zweite Nacht an und nach über 30 Stunden im Sattel war auch beim Teamwechsel am Lac de Neuchâtel die erste Schlafpause geplant. Leider konnte ich geplagt von Magenkrämpfen kein Auge zudrücken und nach 15 Minuten im Dämmerzustand hiess es wieder „Tagwache, auf geht’s Junge“. Gewaschen, verpflegt und neu eingekleidet, wieder auf den Sattel und im Scheinwerferlicht meiner getreuen Begleitcrew hinaus in die sternenklare Nacht in Richtung Emmental. Vorbei an einem Ultacycling-Athleten, der am Ende seiner Kräfte im Scheinwerferlicht seines Begleitfahrzeuges auf der Strasse lag. Um ihn herum seine diskutierende Crew in ihren Leuchtwesten, die wohl gerade über einen Rennabbruch diskutierten. Es ist eben erst zu Ende, wenn es zu Ende ist, dachte ich mir.
Der Aufstieg zur Lüdernalp war für mich der Höhepunkt der Tortour. Es gibt nichts schöneres im Leben eines Radfahrers als in einer sternenklaren Nacht einsam eine 15 % Steigung hochzufahren. Die Stille wurde nur unterbrochen vom Rhythmus meines Atems, der ununterbrochen meine Lungenflügel mit der frischen unverbrauchten Bergluft füllte. Plötzlich sprang ein kleines Wiesel auf die Strasse in den hellen Lichtkegel meines Scheinwerfers und blickte mich überrascht an. Mit jeder Pedalumdrehung tanze es einige Schritte weiter vor mir her, blickte sich um und schaute, ob ich ihm folgen würde. Ein Wiesel, das mir den Weg weist und auf mich aufpasst?! Ich dachte an meine Familie und meine Freunde, die mich begleiteten, unterstützen oder zu Hause das Tracking der Tortour verfolgten. Ja, ich weiss, die Zwerge und die sprechenden Briefkästen sind Halluzinationen, aber das Wiesel war echt, dass hat mir meine Begleitcrew auf Nachfrage bestätigt. Mit der aufgehenden Sonne kam auch mein Kreislauf wieder ein wenig in Schwung, leider tanzten meine Verdauungsorgane immer noch Samba, so dass ich keine feste Nahrung zu mir nehmen konnte und ich einige ungeplante Zwischenstopps in Maisfeldern einlegen musste. Da ich jedoch bereits über Auw nach Küsnacht unterwegs war, konnte ich das Ziel bereits riechen. Hier kenne ich jeden Stein und da die meisten Höhenmeter überwunden waren, sprintete ich motiviert dem Ziel entgegen. Natürlich hatte ich insgeheim mit einer Medaille geliebäugelt, bei harten Ultracycling-Rennen ist immer, bis zum Schluss, mit einer hohen Ausfallquote zu rechnen und am Ende wurde ich für meine unzähligen Stunden im Sattel und die harte Arbeit belohnt. Für mich als alter Hase war Aufgeben nie eine Option, Krisen kommen und gehen, so wie im Leben und auf den letzten Kilometern ist es wirklich nur noch Schmerz, Leid und Qual. Ich bin unendlich glücklich, dass ich meiner Familie und meiner Crew und natürlich auch mir, unvergessliche Momente in einem unbezahlbaren Umfeld schenken konnte.
Da ich nie am Limit gefahren bin, konnte ich das Rennen doch grösstenteils geniessen. Durch Navigationsfehler und Standzeiten an zahlreichen Baustellen, habe ich sicher 1 Stunde verloren. Die Siegerzeit des Master Gewinner (Overall Bestzeit!!) zeigt mir auf, dass sicher noch Potential vorhanden ist, mich weiter zu steigern. Alter ist halt nur eine Zahl, aber das muss man Ultracycling-Athleten nicht erklären. Eventuell konnte ich auch befreit fahren, da ich mir keinen Druck machte und einfach Spass auf dem Rad und mit meiner Crew haben wollte.
"Nach 800 km weiss ich eh nicht mehr
a) was ich trage
b) wie fest ich miefe
c) wie ich heisse
d) was die ganze Scheisse überhaupt soll ..."
--- Bela Takacs aka The Rocketman (Ancien PBP)